Kritik „16 Uhr 50 ab Paddinton“ Ludwigsburger Kreiszeitung

Meisterhaftes Wechselspiel zwischen 16 Rollen

Mirjam Orlowsky und Isabelle Guidi führen in der Rommelmühle einen Agatha-Christie-Krimi als szenische Lesung auf

BIETIGHEIM-BISSINGEN VON RUDOLF WESNER

Einen Kriminalroman von Agatha Christie nicht bloß vorgelesen, sondern zugleich szenisch vorgeführt zu bekommen, ist eine Rarität. Die Schauspielerinnen Mirjam Orlowsky und Isabelle Guidi, die als Duo Mirabelle auftreten, gestalteten den Krimi „16 Uhr 50 ab Paddington“ im gut besuchten Kulturraum Rommelmühle in Bissingen auf diese ungewöhnliche Weise.

Für ihren Auftritt auf der winzigen Bühne benötigten die beiden fabelhaften Darstellerinnen nur einen Tisch und zwei Stühle sowie etliche Requisiten, die sie in zwei Reisekoffern mitbrachten. Den 1957 herausgebrachten, im Jahr 1960 auch in deutscher Übersetzung erschienenen Roman hatten sie auf höchst geschickte Weise für ihre Inszenierung bearbeitet, um damit ihr faszinierendes, vielschichtiges darstellerisches Können zu zeigen.

Gelernt haben Mirjam Orlowsky und Isabelle Guidi bei der renommierten Hochschule für Bewegungstheater Scuola Teatro Dimitri in der Schweiz. Ihr Namensgeber Dimitri ist als vom Theater geprägter Clown bis heute unvergessen. Wer an der von ihm im Tessin gegründeten Hochschule überhaupt angenommen wird, der lernt dort nicht einfach nur die Schauspielerei in ihrer Vielschichtigkeit, sondern auch alle Methoden und Stile, mit denen ein Clown seine Zuschauer in den Bann zieht.

Deshalb wurde das Spiel des Duos Mirabelle auch so ein unvergleichliches Erlebnis: Mirjam Orlowsky und Isabelle Guidi traten nicht nur mit immens wandlungsreicher, ausdrucksstarker und geradezu clownesker Mimik auf, sie besitzen auch die Fähigkeit, mit ihren Stimmen zu jong- lieren und zu allem ein hohes Maß an bewegter Körpersprache einzusetzen.

Somit bereitete es ihnen auch nicht die geringste Mühe, die insgesamt 16 Personen der Handlung im Krimi „16 Uhr 50 ab Paddington“ darzustellen und von einer in die nächste Rolle auf offener Bühne zu schlüpfen, indem sie etwa einen anderen Hut aufsetzten oder schnell ein Kleidungsstück wechselten. Mal lasen sie Passagen aus dem Buch von Agatha Christie, doch im nächsten Moment führten sie die darin beschriebenen Szenen vor. Dieses ständige Wechselspiel zwischen Lesung und Inszenierung verlief fließend und ohne jede Unterbrechung.

Die auch mit Erfolg verfilmte Erzählung der Suche der allseits beliebten Miss Marple nach einem Mörder, der beobachtet wurde, wie er in einem vorbeifahrenden Zug eine Frau erdrosselte, verlor nichts von ihrer Spannung, verdichtete sich sogar noch durch die theatralische Umsetzung. Das war eine wahre Meisterleistung der beiden Darstellerinnen aus Tübingen, denen zuzuschauen ein großes Vergnügen bedeutete.